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November 28, 2006

Was Russland mit seinem vielen Geld machen sollte

28. November 2006, Neue Zürcher Zeitung
OECD rät zu klarerer Sparstrategie, Reformen in der Verwaltung und mehr Effizienz
Russlands beneidenswerte makroökonomische Verfassung war bisher dem teuren Erdöl und der Annahme zu verdanken, dass die Rohstoffpreise nur temporär hoch sein würden. Laut der OECD sollte Russland dies jedoch überdenken.

pfi. Moskau, 27. November

Russland hat in den letzten Jahren einen ökonomischen Aufschwung erlebt, wie er in Europa seinesgleichen sucht (vgl. Tabelle). Seine Wirtschaft ist konstant stark gewachsen, die Reallöhne sind sehr deutlich gestiegen, die Arbeitslosigkeit ist gering, und der Staat gibt zwar wieder mehr aus, erwirtschaftet aber dennoch immer grössere Haushaltsüberschüsse. Wie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in ihrem neuesten, ausführlichen «Economic Survey» darlegt,[1] hat all dies eine äusserst ungewöhnliche Verbesserung der sogenannten Terms of Trade möglich gemacht. Dank stetig steigenden Rohstoffpreisen sind Russlands wichtigste Ausfuhren immer mehr wert und seine Einfuhren relativ günstiger geworden. Das liess unerwartet viel mehr Geld im Land, welches einerseits die inländische Nachfrage anheizte und von welchem andererseits die Regierung versuchte, einen guten Teil für schlechtere Zeiten auf die Seite zu legen. Die im Stabilitätsfonds sterilisierten hohen Haushaltsüberschüsse haben wesentlich dazu beigetragen, den Rubel vor einer die Wettbewerbsfähigkeit von grossen Teilen der Wirtschaft gefährdenden, allzu schnellen Aufwertung zu bewahren.

Aufspaltung des Stabilitätsfonds
In der OECD-Studie erhält Russland ausdrücklich viel Lob für seine bisherige, stabilitätsorientierte makroökonomische Wirtschaftspolitik. Diese ist davon ausgegangen, dass der Höhenflug der Rohstoffpreise ein temporäres Phänomen sei, das es auszugleichen gilt, indem der Staat einen Teil der Gelder im Stabilitätsfonds zur Seite legt, um Haushaltsdefizite ausgleichen zu können, wenn der Erdölpreis mal wieder in den Keller fällt. Zwar gibt es laut der OECD bisher keine Sicherheit darüber, ob dies nicht doch bald geschehen könnte. Dennoch erscheine es zunehmend möglich, dass die für Russland so wichtigen Rohstoffpreise dauerhaft höher bleiben könnten. Als Reaktion darauf raten die Ökonomen Russland einerseits, das angestrebte Volumen der Gelder, welche im Stabilitätsfonds zum Ausgleich von Schwankungen - und ausschliesslich dafür - bereit gehalten werden, zu erhöhen und das Aufkommen der Gelder sogar noch breiter zu fassen. Andererseits empfehlen sie aber auch, den Fonds in einen Stabilisierungs- und einen Sparanteil aufzuspalten. Zum Sparanteil müssten dann explizite Strategien formuliert werden, wie dieser gezielt investiert werden soll, um das zukünftige Einkommen daraus zu maximieren.

Rohstoffe genügen nicht
Sollten die Rohstoffpreise hoch bleiben, wäre dies für Russland keineswegs nur ein Segen. Der Druck auf die noch weniger modernen Nicht- Rohstoffsektoren würde weiter zunehmen. Will Russland, dessen Wirtschaftsleistung pro Kopf laut den Pariser Berechnungen kaufkraftbereinigt erst 37% des OECD-Durchschnitts ausmacht, zum Klub der entwickelten Länder aufschliessen, muss seine Wirtschaft dringend produktiver werden. Dazu sollte die private Wirtschaft mehr in Modernisierung und Innovation investieren; Russland wendet dafür derzeit etwa 18% seines Bruttoinlandprodukts (BIP) auf, China knapp 40%. Der Kreml sollte nicht einfach Geld verteilen, sondern stattdessen das Investitionsklima verbessern und strukturelle Reformen angehen, damit die private Wirtschaft mehr investiert und dauerhaft moderner wird. Leider hat allerdings in den letzten beiden Jahren der Reformelan deutlich nachgelassen.

Nebst der seit Jahren verschleppten Erdgasmarkt-Reform sind es vor allem eine umfassende Reform der Verwaltung, eine stärker innovationsfördernde Ausgestaltung der Forschungspolitik sowie grössere Anstrengungen in der Gesundheitspolitik (in Russland beträgt die Lebenserwartung bei Geburt immer noch erst 65,3 Jahre), welche die OECD anmahnt.

Eine Reform der noch sehr sowjetischen, ineffizienten, häufig diskretionären und intransparenten russischen Verwaltung wird immer dringender, weil ohne sie überall Gelder verloren gehen und viel zu wenig zielgerichtet eingesetzt werden können. Russland hat laut der OECD einen zu schwachen Staat mit zu starken - häufig korrupten - Bürokraten. Nebst «New Public Management» mit anreizorientierten Entlöhnungssystemen braucht es Grundlegenderes: ein Recht auf Information und öffentliche Rechenschaftslegung der Verwaltung, Beaufsichtigung der Bürokratie durch unabhängige Gerichte und ein eigenständiges Parlament, weniger diskretionären Spielraum für staatliche Funktionäre und nicht zuletzt auch echte Möglichkeiten für die Bürger, ihre Rechte geltend zu machen, damit administratives Fehlverhalten sanktioniert wird.

Russland Bevölkerung ist zwar gemessen am sonstigen Entwicklungsniveau bemerkenswert gebildet, und sein staatlicher Forschungssektor ist ungewöhnlich gross. Doch ganz in sowjetischer Tradition arbeitet dieser häufig an den Bedürfnissen der Wirtschaft vorbei. Mehr Wettbewerb, weniger Bürokratie, eine stärker projektorientierte Forschungsfinanzierung und ein Steuersystem, das private Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen stärker honoriert, könnten laut den Pariser Ökonomen auch wesentlich dazu beitragen, dass Russlands Wirtschaft unabhängig vom Erdölpreis entwickelter und moderner wird.

[1] http://www.oecd.org/eco/surveys/russia



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